Digitaler Euro = Totalüberwachung? Was China schon zeigt, könnte auch uns drohen

Stell dir vor, es ist das Jahr 2030 und du möchtest dir morgens einen Kaffee holen. Doch an der Kasse kommt die Überraschung: Dein digitales Euro-Guthaben wurde vom System gesperrt. Auf deinem Handy erscheint der Hinweis: „Zahlung abgelehnt – Ausgabenkategorie nicht erlaubt.“

Verwirrt versuchst du, eine kleinere Summe zu bezahlen, aber nun heißt es, dein Monatsbudget für „nicht systemrelevante Einkäufe“ sei ausgeschöpft. Dein Geld gehört offenbar nicht mehr dir allein – die digitale Zentralbankwährung bestimmt, wofür du es ausgeben darfst und wann es verfällt. Sci-Fi-Albtraum oder Schwarzmalerei? Vielleicht. Doch genau solche Befürchtungen machen die Runde, wenn vom kommenden digitalen Euro die Rede ist.

Klingt überzogen? In den sozialen Medien warnen manche schon, ein digitaler Euro bedeute das Ende des Bargelds und totale Kontrolle über unser Geldausgeben. Ist da was dran? Um die Frage zu beantworten, betrachten wir Länder, die bereits digitale Zentralbankwährungen eingeführt haben – etwa China und Nigeria – und prüfen wir, wie realistisch die Horrorvision von „Überwachung pur“ wirklich ist.


Was ist der digitale Euro?

Bevor wir zu den internationalen Erfahrungen kommen, lass uns kurz klären, worum es überhaupt geht. Der digitale Euro wäre eine von der Europäischen Zentralbank (EZB) herausgegebene digitale Form unseres Geldes. Anders als Bitcoin ist er zentral kontrolliert und 1:1 an den Euro gekoppelt – verwechsle ihn also keinesfalls mit einer Kryptowährung, wie du sie heute kennst. Du könntest damit elektronisch bezahlen, ähnlich wie mit Karte oder Handy-App, nur eben direkt mit Euro der Zentralbank.

Ziel ist es unter anderem:

  • Alternative zu PayPal, Kreditkarten & Co
  • Alternative zu Bargeld
  • Offizielles Zahlungsmittel, genauso wie der klassische Euro
  • Kein Spekulationsobjekt

Falls du tiefer in die Details einsteigen willst – von den Hintergründen bis zu möglichen Folgen für Bargeld und Kryptowährungen – schau dir meinen Artikel Digitaler Euro: Kommt jetzt das Ende von Bargeld und Kryptowährungen? an.

Wichtig: Offiziell soll der digitale Euro das Bargeld nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die EZB betont immer wieder, dass man weiterhin mit Scheinen und Münzen zahlen können soll. Trotzdem fragen sich viele: Wer garantiert, dass das so bleibt? Und könnte ein digitaler Euro nicht doch für Überwachung missbraucht werden? Ein Blick in andere Länder hilft, Antworten zu finden.


China – Erfahrungen mit dem digitalen Yuan

Ein Schild in der U-Bahn von Hangzhou wirbt für die Bezahlung mit dem digitalen Yuan (e-CNY). In China wird die neue Währung aktiv gefördert – mit gewünschten Nebeneffekten für die staatliche Kontrolle.

In China ist die zentrale Digitalwährung – der e-CNY, oft „digitaler Yuan“ genannt – bereits Realität. Offiziell läuft er noch im Pilotprogramm, doch die Dimensionen sind gigantisch:

  • Bis Juni 2024 wurden schon rund 7 Billionen Yuan (knapp 1 Billion €) in digitalen Yuan bewegt – fast viermal mehr als ein Jahr zuvor
  • Über 260 Millionen Chinesen (fast 20% der Bevölkerung) haben sich bereits eine e-CNY-Wallet eingerichtet
  • Extremes Wachstum der Transaktionsvolumina – über 600% in 2023.

Die Regierung verteilt regelmäßig Gratis-Guthaben und Rabatte, um die Nutzung anzukurbeln. Selbst Taxis, Supermärkte und die U-Bahn akzeptieren den digitalen Yuan in den Pilotstädten.

Die Kehrseite: Anonym ist hier nichts. Jede Transaktion mit dem e-CNY lässt sich zentral nachverfolgen. Genau das ist von Pekings Führung so gewollt. Experten beschreiben, dass Chinas CBDC-Architektur (Central Bank Digital Currency) mit ihrem Aufbau und programmierbaren Geld gezielt eine erweiterte Verfolgung von Finanztransaktionen ermöglicht.

Smart Contracts im Zahlungssystem können Geldströme automatisch steuern – etwa bestimmte Zahlungen nur für definierte Zwecke freigeben. Die Regierung hat den e-CNY in essentielle Alltagsdienste integriert (vom Nahverkehr bis zu Gesundheits-Apps) und lockt mit Bonusaktionen, um ein stärker kontrollierbare Wirtschaft zu schaffen.

Mit anderen Worten: Der Staat erhält vollen Einblick, wofür Bürger ihr Geld ausgeben, und kann theoretisch eingreifen.

Schon in Testläufen zeigte sich, was programmierbares Zentralbankgeld bedeuten kann. So wurden in einigen Städten digitale Yuan-Gutscheine ausgegeben, die nach ein paar Wochen verfielen, wenn man sie nicht ausgab – ein Instrument, um den Konsum zu steuern. Auch könnte man Zahlungen auf bestimmte Bereiche begrenzen: Stell dir vor, du bekommst 1000 Yuan Unterstützung, die nur für Lebensmittel gelten und die innerhalb eines Monats genutzt werden müssen.

Genau solche Szenarien werden durch den digitalen Yuan denkbar. Überwachung pur? Zumindest totale Transparenz für den Staat: Ja. Chinesische Offizielle argumentieren, das helfe gegen Korruption und Schwarzgeld, da große Transaktionen dank Nachverfolgbarkeit leichter geprüft werden können. Doch natürlich ließe sich dieselbe Transparenz nutzen, um Bürger zu überwachen oder abweichendes Verhalten zu sanktionieren – Big Brother in der Wallet.

Bisher ersetzt der e-CNY in China weder Bargeld noch Alipay/WeChat Pay (er macht noch unter 0,2 % des Bargeldumlaufs aus). Aber die Weichen sind gestellt: Sollte die Regierung eines Tages alle Zahlungen über die staatliche Digitalwährung lenken, hätten sie ein mächtiges Kontrollinstrument in der Hand. Gerade in China wissen wir ja, wie extrem der Staat teilweise agiert und eingreift – Widerstand ist zwecklos.


Nigeria, Schweden und Bahamas im Vergleich

Neben China experimentieren und arbeiten viele Länder an digitalem Zentralbankgeld. Hier drei Beispiele:

  • Nigeria (eNaira) – 2021 führte Nigeria als eines der ersten Länder den eNaira ein. Die Bevölkerung blieb jedoch skeptisch: Anfangs nutzten weniger als 1 % der Nigerianer die digitale Währung. Ende 2022 griff die Regierung zu drastischen Mitteln: Sie verursachte absichtlich einen Bargeldmangel, um die Leute in den eNaira zu drängen. Das Ergebnis waren lange Schlangen, Proteste und Chaos – die Menschen forderten ihr Bargeld zurück. Bis heute dümpelt der eNaira mit minimaler Verbreitung (weniger als 1 % des Geldumlaufs) vor sich hin. Nigeria zeigt: Ohne Vertrauen der Bürger nützt die beste Digitalwährung nichts – und brachiale Methoden, sie durchzusetzen, können nach hinten losgehen.
  • Schweden (e-Krona) – Schweden ist nahezu ein cash-loses Land; viele Geschäfte nehmen kaum noch Bargeld an. Aus Sorge, staatliches Geld könnte ganz aus dem Alltag verschwinden, testet die schwedische Zentralbank seit 2020 die e-Krona. Eingeführt ist sie aber noch nicht. In mehreren Pilotphasen wurde geprüft, wie eine digitale Krone technisch funktioniert – inklusive Offline-Zahlungen, damit man auch ohne Internet bezahlen kann.
  • Bahamas (Sand Dollar) – Die Bahamas haben 2020 als erstes Land überhaupt eine digitale Zentralbankwährung eingeführt, den Sand Dollar. Ziel war es, die vielen verstreuten Inseln besser finanziell zu vernetzen und Leuten ohne Bankkonto eine einfache Geld-App zu geben. Technisch funktioniert der Sand Dollar und ~30 % der Bahamaer haben sich so eine Wallet geholt. Genutzt wird sie jedoch wenig – nur wenige Millionen sind im Umlauf. Auch hier zeigt sich wieder: Wenn kein echter Bedarf besteht, wird es auch nicht eingesetzt und akzeptiert.

Mögliche Risiken eines digitalen Euro

Wenn wir diese Erfahrungen zusammennehmen, ergeben sich einige potenzielle Risiken, die auch beim digitalen Euro heiß diskutiert werden:

  • Überwachung aller Transaktionen: Ein digitaler Euro wäre – wie in China – nachverfolgbar. Theoretisch könnten Behörden jeden Cent verfolgen, den du ausgibst. Finanz-Gläserner Bürger? Datenschützer warnen davor. Zwar verspricht die EZB, den Datenschutz zu wahren, aber ein gewisses Missbrauchspotential bleibt: Wofür du dein Geld ausgibst, könnte prinzipiell aufgezeichnet werden.
  • Verdrängung von Bargeld: Sollte der digitale Euro zu erfolgreich werden (oder Bargeld bewusst unattraktiv gemacht werden), könnte unser gutes altes Bargeld nach und nach verschwinden. Damit ginge ein Stück Privatsphäre verloren – Bargeldzahlungen sind anonym, digitale Zahlungen nicht. Außerdem wären wir bei jedem Kauf auf technische Systeme angewiesen. Auch wenn die EZB das Bargeld nicht aktiv abschaffen will, könnte sie, wie in China, finanzielle Anreize schaffen, um dessen Abschaffung „natürlich” herbeizuführen.
  • Staatliche Kontrollmöglichkeiten: Programmierbares Geld bietet ganz neue Optionen – nicht nur positive. Ein Staat könnte den digitalen Euro z.B. so programmieren, dass bestimmtes Geld nur für bestimmte Zwecke ausgegeben werden kann (etwa Sozialhilfe nur für Lebensmittel). Auch Negativzinsen direkt auf unser Geld wären umsetzbar („dein Guthaben schmilzt jeden Tag um 0,1 %, wenn du es nicht nutzt“ – Ist das ein radikales Mittel, um die Geldmenge zu reduzieren?). In ganz schlimmen Szenarien ließe sich sogar unerwünschtes Verhalten bestrafen, indem man einzelnen Personen das Geld einfriert oder bestimmte Ausgaben verbietet.

Fazit

Wie realistisch ist nun der Überwachungs-Albtraum? Nun, eines vorweg: Die EU ist nicht China. Viele der krassesten Kontrollfunktionen, die man theoretisch mit einem digitalen Euro umsetzen könnte, sind aktuell nicht geplant – zumindest wenn man den aktuell verfügbaren Informationen glaubt.

Zudem stehen in Europa rechtliche Aufpasser bereit: Datenschutz-Grundverordnung, der Europäische Datenschutzbeauftragte und notfalls der Europäische Gerichtshof könnten im Ernstfall einschreiten.

Dennoch: Misstrauen ist angebracht. Die Erfahrungen aus aller Welt zeigen, dass Technik für sich neutral ist – entscheidend ist, wie sie genutzt wird. In einer stabilen Demokratie mit starken Datenschutzgesetzen mag ein digitaler Euro tatsächlich nur eine weitere Bezahloption sein, ohne große Einschnitte. Aber wir sehen in China, dass die gleiche Technologie in einem autoritären Umfeld sehr wohl zur umfassenden Überwachung und Kontrolle dienen kann. Auch in Demokratien kann sich das Blatt wenden: Was heute ausgeschlossen scheint, könnte ein zukünftiger Gesetzgeber anders sehen. Kriminelle oder terroristische Handlungen würden eine schärfere Kontrolle sofort rechtfertigen.

Hier gibt es offizielle Informationen zum digitalen Euro.

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