Jedes Jahr werden in Deutschland rund 300.000 Geldwäsche-Verdachtsfälle gemeldet. Das sind mehr als 800 pro Tag.
Da fragt man sich: Ist Deutschland so kriminell? Und wie kommt eine solch gigantische Anzahl an Meldungen zusammen? Wird allem nachgegangen und etwas dagegen unternommen oder steckt mehr dahinter?
Wie kann es sein, dass etwas wie Wirecard oder Cum-Ex passieren kann, obwohl wir doch in einem immer stärker überwachten System leben?
Und vor allem: Wer geht diese riesige Anzahl an Geldwäsche-Verdachtsfällen wirklich nach? Warum hört man eigentlich nie von aufgedeckten, erfolgreichen Fällen, bei denen diese ganze Kontrolle auch einmal einen Nutzen gebracht hat?
Die FIU – Deutschlands Finanzaufsicht im Schatten
Kaum jemand kennt sie, aber sie sitzt im Zentrum dieses Systems: die FIU, die „Financial Intelligence Unit“. Sie wurde 2002 gegründet und 2017 vom Bundeskriminalamt zum Zoll verschoben – offiziell, um Geldwäsche effizienter zu bekämpfen.
In der Praxis ist die FIU eine Art Finanzdaten-Zentrale, die alle Verdachtsmeldungen über mögliche Geldwäsche oder Terrorfinanzierung entgegennimmt.
Wenn eine Bank, ein Notar oder eine Kryptobörse also der Meinung ist, dass eine Transaktion verdächtig sein könnte, muss sie diese an die FIU melden. Das ist nicht optional, sondern gesetzlich vorgeschrieben.
Was viele nicht wissen: Die FIU ermittelt nicht selbst. Sie prüft und bewertet die eingehenden Meldungen und leitet im besten Fall einen kleinen Teil davon an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft weiter. Die FIU ist sozusagen nur ein Durchschleuser – oder, um es weniger nett auszudrücken, ein Durchlauferhitzer – oder, wenn man so will, ein Filter für Verdachtsfälle.
📊 Entwicklung der Geldwäsche-Verdachtsmeldungen in Deutschland
Insgesamt ist die Zahl der Verdachtsfälle stark angestiegen.
| Jahr | Anzahl der Verdachtsmeldungen |
|---|---|
| 2017 | ca. 59.845 |
| 2018 | ca. 77.000 |
| 2019 | ca. 114.914 |
| 2020 | ca. 144.005 |
| 2021 | ca. 298.507 |
| 2022 | ca. 337.186 |
| 2023 | ca. 322.590 |
| 2024 (vorläufige Zahlen) | ca. 265.000 |
Zahlen laut FIU-Jahresbericht.
2024 waren das etwa 265.000 eingegangene Meldungen, aber nur rund 11.000 davon wurden weitergeleitet. Das entspricht einer Quote von etwa 4 Prozent.
Ein teures System mit unklarem Nutzen
Die FIU beschäftigt derzeit rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kostet den Steuerzahler laut Bundesfinanzministerium etwa 70 bis 75 Millionen Euro im Jahr.
Rechnet man das herunter, müsste jeder einzelne gemeldete Verdachtsfall mindestens 6.000 Euro an illegalem Geld aufdecken, damit sich das System überhaupt auszahlt.
Doch weder die FIU noch die Ermittlungsbehörden wissen, wie viele dieser Meldungen tatsächlich zu Strafverfahren führen.
Denn die FIU erhält keine Rückmeldung darüber, was aus den von ihr weitergeleiteten Fällen wird. Genau das kritisierte der Bundesrechnungshof 2023 – es sei „nicht nachvollziehbar, in welchem Maße die FIU tatsächlich zur Bekämpfung von Geldwäsche beiträgt“.
Es ist also ein System, das Millionen kostet und Hunderttausende Verdachtsmeldungen verwaltet, aber seinen eigenen Erfolg nicht messen kann. In der heutigen Zeit, in der eigentlich alles digitalisiert sein sollte, scheint es, als wäre das Ganze ein riesiger Verwaltungsapparat, der nur Datensätze verwaltet.
Wenn Kontrolle zur Überforderung wird
Das Hauptproblem: Die FIU erstickt an der Masse der Daten, die sie eigentlich sortieren soll.
Banken und andere meldepflichtige Unternehmen melden lieber zu viel als zu wenig, da sie sonst selbst in Haftung geraten könnten. So werden fast alle ungewöhnlichen Zahlungen, Auslandstransaktionen und größeren Bargeldtransfers vorsorglich gemeldet – auch wenn am Ende in 95 Prozent der Fälle nichts Illegales dahintersteckt.
Das Ergebnis ist eine Datenlawine, die kaum noch manuell bewältigt werden kann. Einige Jahre nach der Umstrukturierung hatte die FIU bereits mehr als 100.000 unbearbeitete Fälle anhängig.
Genau in dieser Zeit fielen zwei der größten Finanzskandale der jüngeren deutschen Geschichte: Wirecard und Cum-Ex.
Bei Wirecard meldeten Banken bereits früh auffällige Transaktionen an die FIU –
aber die Hinweise wurden intern nicht priorisiert oder gar nicht weitergeleitet. Statt einer schnellen Reaktion verschwand der Verdacht im Rückstau. Als der Skandal schließlich platzte, stand die FIU unter Druck: Sie hatte die Daten – aber nicht gehandelt.
Auch im Fall Cum-Ex, also den milliardenschweren Steuerbetrugsgeschäften über manipulierte Aktienrückzahlungen, waren zahlreiche Verdachtsmeldungen eingegangen. Doch die FIU reagierte zu spät oder verlor sich in Zuständigkeitsfragen. Wichtige Spuren gingen verloren, bevor Ermittler überhaupt aktiv werden konnten.
Beide Fälle zeigen: Nicht der Mangel an Informationen war das Problem –
sondern die mangelnde Auswertung. Das System war so sehr mit Kontrolle beschäftigt, dass es genau dort versagte, wo echte Kontrolle nötig gewesen wäre.
Es ist ein System, das so sehr auf Kontrolle ausgelegt ist, dass es sich letztlich selbst lähmt. Die FIU filtert, bewertet und priorisiert, doch was dabei herauskommt, bleibt unklar.
Anders ausgedrückt: Es wurde ein System geschaffen, das zwar alles sieht, aber kaum etwas versteht.
KI – die große verpasste Chance
Theoretisch wäre die Lösung längst da: Künstliche Intelligenz könnte die Geldwäschebekämpfung revolutionieren. Sie könnte Muster erkennen, Verbindungen zwischen Transaktionen, Firmen oder Ländern aufdecken und damit echte Netzwerke von Kriminellen sichtbar machen.
In der Praxis passiert jedoch genau das nicht. Die FIU nutzt kein lernendes KI-System, sondern arbeitet mit einem Meldeportal namens goAML, das von den Vereinten Nationen entwickelt wurde, im Kern aber ein Formularsystem ist.
Es gibt keine automatische Mustererkennung, keine Echtzeitanalyse und kein intelligentes Filtern von Relevanz.
Warum?
- Datenschutzgesetze (DSGVO) schränken maschinelle Datenverknüpfung massiv ein.
- Die Behördenstrukturen sind träge, die politische Angst vor Fehlern groß.
- Es gibt keine einheitliche Datenbasis – jede nationale FIU arbeitet mit eigenen Systemen.
- Und selbst wenn man KI einsetzen wollte, fehlen Trainingsdaten, weil kaum Fälle bis zu einer echten Verurteilung verfolgt werden.
Die paradoxe Folge: Kriminelle verschieben Geld längst mit modernen Methoden, während die FIU noch mit Excel-Tabellen und Risikostichproben arbeitet.
Europa greift ein – mit der AMLA
Weil das alles offensichtlich nicht gut funktioniert, will die EU das System nun zentralisieren.
2026 soll die neue AMLA (Anti-Money Laundering Authority) in Frankfurt am Main starten. Sie soll die nationalen FIUs überwachen, Daten bündeln und Standards vereinheitlichen.
Auf dem Papier klingt das nach Effizienz – in der Realität bedeutet es vor allem noch mehr Datensammeln. Denn statt die Ursachen der Ineffizienz zu beheben,
wird einfach noch eine Ebene der Kontrolle oben draufgesetzt.
Je mehr Daten gesammelt werden, desto höher ist das Risiko, dass irgendwann nicht nur Kriminelle, sondern alle Bürger im System landen. Wenn bereits jedes ungewöhnliche Verhalten eine Meldung auslöst, ist die Grenze zwischen Schutz und Überwachung schnell überschritten.
Man muss sich fragen, ob bei dieser riesigen Zahl tatsächlich Hunderttausende Kriminelle gemeint sind – oder ob das System längst zu breit greift. Bei dieser riesigen jährlichen Anzahl kann man davon ausgehen, dass der überwiegende Großteil ganz normale Finanztransaktionen unbescholtener Bürger sind!
Die AMLA wird die FIU nicht entlasten, sondern sie zu einer EU-weiten Superdatenbehörde machen. Und das alles nur, weil das bestehende System nicht effizient genug arbeitet.
Das ist ein klassischer Fall von: Wenn man ein Problem nicht löst, vergrößert es sich.
Fazit: Kontrolle ohne Wirkung
Die Zahl klingt beeindruckend: 300.000 Geldwäsche-Verdachtsfälle pro Jahr. Sie zeigt jedoch weniger die Stärke des Systems als vielmehr seine Hilflosigkeit.
Wenn es tatsächlich 300.000 Verdachtsmomente gibt, aber nur wenige Fälle aufgeklärt werden, kann das System nicht effektiv sein.
Ganz im Gegenteil: Es legt nahe, dass nicht gezielt kontrolliert, sondern flächendeckend überwacht wird.
Die FIU ist teuer, komplex und weitgehend intransparent. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass illegales Geld unentdeckt bleibt. Doch selbst sie weiß nicht, wie erfolgreich sie dabei ist.
Und mit der neuen AMLA droht sich diese Entwicklung weiter zu verschärfen: mehr Kontrolle, mehr Daten, mehr Überwachung – aber nicht zwangsläufig mehr Gerechtigkeit oder Effizienz.
Das eigentliche Problem ist vielleicht nicht, dass zu wenig kontrolliert wird, sondern dass zu viele Daten gesammelt und zu wenige davon verstanden werden.
